Keramik Manufaktur Kupfermühle

25551 Hohenlockstedt, Gleiwitzer Straße 14

Die Firmengeschichte 1993 - 1995 Teil 5

1993 Der Umsatz hat wieder 6 Mio DM überschritten und nominell fast den von 1985 erreicht. Belegschaft ca. 70 Köpfe, umgerechnet auf Vollzeitbeschäftigte 60-65. Das Steinzeuggeschirr mit den Dekoren FLAMENCO und INDIGO macht uns interessant, es werden immerhin 200.000 DM vor Steuern verdient. Das alles, obwohl wir vom Wiedervereinigungs-Boom nichts abbekommen. Die Ossis kaufen billig und konservativ, jedenfalls was Keramik betrifft.

Berater Wegmann (Procon & Stamp, Düsseldorf) zeigt Defizite im Personalbereich auf, kann aber den kranken Markt nicht gesünder machen.

1994 Die folgenden Jahre sind geprägt von rasant zunehmenden Verkaufsproblemen. Rascher Verfall von Neuheiten, die in dichter Folge auf den Markt müssen, um überhaupt etwas zu verkaufen. Die Kollektion bläht sich trotz ständiger Gegenwehr immer weiter auf, weil es keine Renner mehr gibt.

Exkurs VI, das große Sterben im Einzelhandel

genauer: Das Sterben des Fach-Einzelhandels, unserer Kundschaft. Die Kunstgewerbegeschäfte, einst der halbe KMK-Umsatz, sind verschwunden, verdrängt von Läden mit unsäglichem Schnickschnack, mit Früchtetees, Modeschmuck und Haribo-Kondomen. Der Fachhandel Porzellan / Glas / Keramik verliert ständig Umsatz an die Großmöbler und Kaffeeröster; die billig importierte Haushaltswaren als Frequenzbringer nutzen und das allgemeine Preisniveau bestimmen.

Der Einzelhandel ist auf breiter Front von einem zusätzlichen Strukturwandel betroffen, denn die Umsätze verlagern sich unaufhaltsam aus den Innenstädten in die aufblühenden Gewerbegebiete am Stadtrand. Die sind mit dem Auto leichter zu erreichen, es gibt reichlich Parkplätze, und die Handelsflächen können fast beliebig wachsen. Riesenauswahl auf großer Fläche - das bietet die Innenstadt nicht. Selbstständige Einzelhändler könnten dieses Angebot auch gar nicht finanzieren. Baumarktketten nehmen mit ihren Sortimenten gleich mehrere Fachhandelsbranchen in die Zange. In der Innenstadt fallen die Brot- und Butter-Umsätze des täglichen Bedarfs weg - wer kann vom Rest noch leben und die weiterhin exorbitanten Ladenmieten bezahlen?

Das alles passiert lange vor "dem Internet", dem diese Entwicklung gerne in die Schuhe geschoben wird, weil es sich so logisch anhört. Das Internet ist im Deutschland der Neunziger Jahre noch eine exotische Insider-Veranstaltung und beginnt sich im Einzelhandel erst um das Jahr 2010 merkbar auszuwirken. Zu dieser Zeit ist die Verödung der Innenstädte schon so gut wie abgeschlossen, der Internethandel gibt ihnen nur den Rest. Rein äußerlich scheint es oft anders, weil der heutige Ketten-Einzelhandel nach wie vor eine ungebremste Flächenausweitung betreibt und gerne alle 20 Jahre neu und dann doppelt so groß baut. Der Größte frisst alle Kleineren - das war schon immer so. Von Innenstadt und Fachhandelsgeschäften spricht keiner mehr.

Mit dem Fachhandel schrumpft die Inlandsproduktion von Porzellan um die Hälfte, die von Glaswaren um zwei Drittel. Von 2500 GPK-Geschäften in den 70er Jahren sind Mitte der 90er noch knapp 1000 übrig. Konsumflaute und Preisverfall auf ganzer Linie, was uns als Randbewohner besonders trifft, denn wir sind für den Händler vom Umsatzvolumen her letzten Endes entbehrlich. Der Handel muß um jeden Preis Personalkosten senken und streicht beratungsintensive Nischenware aus seinem Angebot. Dass diese Entwicklung im fortgeschrittenen Stadium sogar zum Ende der Kaufhäuser (Karstadt, Kaufhof, Horten) führen wird, kann man sich zu dieser Zeit trotz aller Schwierigkeiten noch gar nicht vorstellen.

Auch das Publikum hat sich geändert - oder hat es sich dem Ramschniveau angepasst? Bis weit in die Siebziger Jahre wurde Keramik als Kulturgut wahrgenommen, und auch esoterisch abgehobene Kunstkeramiker hatten ihr Auskommen. Heute gibt es nur noch geringe Reste dieser Szene, weil die Mc-Donald’s Generationen kein Verhältnis mehr zu solch verstaubten Waren und Werten haben und ihr Geld für die in kurzen Abständen zu erneuernde Elektronik und für alle möglichen Events ausgeben, die es in dieser Zahl und Vielfalt früher nicht ansatzweise gab. Die Hälfte der Menschheit scheint auch immerzu auf Reisen zu sein. Keramik und Porzellan sind bestenfalls noch so interessant wie Slipeinlagen und Fußmatten. Bezeichnend dafür ist, dass im Bereich GPK weder Großanbieter noch Franchise-Läden noch Spezialversender entstanden sind. Im weiteren Verlauf dieser Entwicklung werden auch viele andere Dinge mangels weiterem Interesse entwertet, z.B. Antikmöbel oder Perserteppiche. Immer wertvoller werden dagegen alte Autos, der Umsatz mit Oldtimern soll 2022 in Deutschland bei 3-4 Milliarden Euro gelegen haben.

In den 90er Jahren konsolidiert sich die Handelsstruktur auf den Großflächen am Stadtrand und wird zum Normalfall. Die dort angesiedelten Discounter werden, bis heute immer noch zunehmend, umgeben von Supermärkten, Baumärkten, Möbelhäusern, Drogeriemärkten und Textilmärkten. McDonalds, Media Markt, Jysk und Futterhaus allüberall, dazu kostenlose Parkplätze in Hülle und Fülle. Die Innenstadt reduziert sich auf Boutiquen, Handyshops, Eisdielen, Friseure und Bäckereifilialen. Dazu Brillenläden, Arztpraxen, Apotheken, Banken und Rechtsanwälte. Korrigiere: Banken sind stark auf dem Rückzug, ihre Filialen rechnen sich nicht mehr. Der klassische inhabergeführte Einzelhandel hat komplett aufgegeben, und auch die ehedem hoch gelobten Einkaufszentren leiden unter Leerstand und hoher Fluktuation. Das Einkaufszentrum "Holstein-Center" in Itzehoe wurde 2022 nach zwanzig Jahren Dauerkrise und mehreren Pleiten geschlossen. Ein Teil wird abgerissen, der Rest umgebaut und anders genutzt.

In der KMK muss nun das Weihnachtsgeld gekündigt werden; es entfällt ab 1995 völlig, um die zunehmenden Verluste zu begrenzen. Waren wir früher im örtlichen Vergleich mit einem hohen Lohnniveau „gesegnet“, so hat sich das längst geändert. Exemplarisch ist das Gehalt des Geschäftsführers: 72.000 DM p.a. brutto, kein Firmenwagen, keine Pensionszusage.

Berater Dr. Zeidler (Becker+Partner, Hannover) bringt uns endlich dazu, das Wahlsystem der Abteilungsleiter abzuschaffen und renoviert die Buchhaltung. Zum Thema Verkauf hält er sich leider zurück. Überhaupt sammeln wir umfangreiche Erfahrungen mit der Beratungsbranche, die aus den neuen Bundesländern zurückflutet und zunehmend aggressiv akquiriert. Wer auch immer uns Beratung verkaufen will, jeder stürzt sich auf die firmeninterne Organisation und will dort Rationalisierungseffekte freisetzen. Für Fragen des Marktes fühlt sich keiner zuständig.

Exkurs VII, Markt und Vertrieb

Alle Versuche, irgendwie aus den alten Schienen auszubrechen, sind gescheitert. Es ist zwar nach vielen Anläufen gelungen, neue und größere Kunden anzusprechen. Das KaDeWe in Berlin macht 20.000 Mark Jahresumsatz, aber was ist das schon? Die Großmöbler mit Verkaufsflächen zwischen 20.000 und 40.000 qm teilen sich allmählich in Billigheimer und Gehobene, bei letzteren gibt es gut präsentierte Versuche, aber die Ware bleibt stehen. Zu teuer. Versender haben eine noch höhere Spanne als der Fachhandel, brauchen also heftige Nachlässe, ordern Kleinmengen in Spezialverpackung und reklamieren ständig; ein einziges Ärgernis. Werbeartikel beanspruchen in unvertretbarer Weise unseren Engpass Formenbau und Entwicklung und stellen sich nach vielen Vorarbeiten regelmäßig als eben doch zu teuer heraus. Am Ende lassen wir uns aus sämtlichen Branchenverzeichnissen streichen, um solchen Anfragen zu entgehen. Sonst wäre man immer wieder in Versuchung, nach sinnlosen Strohhalmen zu greifen. Trotzdem kommt ein Großauftrag 1996 zufällig aus dieser Ecke, nachdem der weltgrößte Tierfutterhersteller Effem in Verden (gehört zum amerikanischen Mars-Konzern) offensichtlich mit der Qualität importierter Werbeartikel auf den Bauch gefallen war. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel, und einmal ist keinmal.

Den Kleinverkauf haben wir schrittweise aufs dreifache vergrößert und bieten das ganze Sortiment an. Mit klassischer Hintergrundmusik, ausgeschildertem Betriebsrundgang und 55 Wochenstunden Öffnungszeit. Auf unsere Einzelhändler wird keine Rücksicht mehr genommen, aber die sind mit ihren eigenen Problemen gut beschäftigt und meckern nicht lauter als früher. Sonderanfertigungen von Türschildern, Hochzeitstellern u.a. sollen die Kundenbindung verstärken. Mit alledem gelingt es weitgehend, den „natürlichen“ Rückgang zu kompensieren, aber dieser ist doch deutlich zu merken. Ein regional beworbener Sonderverkauf verursachte 1985 noch 1 km Verkehrsstau, 10 Jahre später reichen in diesem Fall die eigenen Parkplätze aus. Ein „Landfrauen-Bus“ war früher für bis zu 1.000 DM Umsatz gut, jetzt liegt der Schnitt bei 400. Kaffeefahrten-Busse nähern sich 100 DM Umsatz und haben kaum noch Sinn. Wir merken, dass der Anteil des Geschirrs im Kleinverkauf ständig steigt, das ist nämlich echter Bedarf, der im Handel das doppelte kostet, also ein handfestes Kaufmotiv. Leider kannibalisieren wir damit einen Teil unserer Händler-Umsätze. Geschenkartikel werden immer mehr zu Ladenhütern. Summa summarum bringt der Kleinverkauf gut 20% vom Gesamtumsatz.

1995 Jetzt beginnen, nach jahrelangem Einstellungsstop, erste Entlassungen.

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